Antenne 6

Erdfunkstelle Raisting ‒ Antenne 6

Die Antenne 6 hatte im Gegensatz zu den anderen Raistinger Antennen einen beson­deren Status wegen ihres ursprünglich experimentellen Projektcharakters. Sie wurde in Fernmeldehoheit der Deutschen Bundespost 1974 errichtet und für das erste eigenständige europäische Fernmelde-Satellitenprojekt namens SYMPHONIE betrieben.

Dies geschah unter der Leitung der Deut­schen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR, heute DLR) im Auftrag des Bundesministeriums für Wissen­schaft und Forschung in Zusammenarbeit mit den entsprechenden französischen Ministe­rien und Behörden wie z. B. France Télécom und dem CNET (Centre National d´études des Télécommunications).

Daher wurde zeitgleich die französische Partnerstation Pleumeur-Bodou in der Bretagne von der France Télécom aufgebaut. Ziel war es u. a., von der amerikanischen Technikdominanz unabhängiger zu werden, um eigen­ständige, europäische Raumfahrt- und Satelliten­techniken zu entwickeln und zu vermarkten.

Hauptzweck des experimentellen SYMPHONIE-Projekts war die Entwicklung und Erprobung neuer Techniken und Telekommunikationsdienste von und nach Über­see mittels zweier eigens für dieses Projekt entwickelten SYMPHONIE-Satelliten, mit jeweils einem geostationären Satelliten über dem Atlantik und dem Indischen Ozean.

Im Rahmen des SYMPHONIE-Projekts wurden u. a.

  • ein eigenes Satellitentest-Verfahren IOT (in-orbit test) erprobt;
  • weitere Antennen verschiedener Größen entwickelt und eingesetzt;
  • sowohl analoge als auch digitale Übertragungsverfahren für Fernsprech-, Fernschreib- und Datenverkehr sowie für Fernsehübertragungen erprobt;
  • erstmals eine weltweite Synchronisation von Atomuhren erreicht;
  • besondere anwendungsorientierte Übertragungsdienste, z. B. für die Deutsche Welle, Bildungsfernsehen u. v. m. eingerichtet und erprobt.

Im Gegensatz zu den anderen Raistinger Antennen ist die Antenne 6 durch ein eigenes Betriebsgebäude weitgehend autark, jedoch für Energieversorgung und fernmeldetechnische Zwecke mit dem Zentralgebäude verbunden. Zusätzlich wurde die Station mit Einrichtungen für die Überwachung und Steuerung der SYMPHONIE-Satelliten ausgestattet und auch dafür eingesetzt. Deshalb bestand eine ca. 4 km lange Kabelverbindung zur Zentralen Deutschen Bodenstation (ZDBS) in der Lichtenau für den Zugang zum Satelliten-Kontrollzentrum der DFVLR in Oberpfaffenhofen zur Übertragung der Telemetrie- und Telekommando-Signale.

Hauptauftragnehmer der Antenne 6 war die Firma AEG-Telefunken (ANT); die technischen Einrichtungen wurden projektbedingt teils von deutschen als auch von französischen Firmen erstellt.

Weitere technische Daten der Antenne 6 (Stand 1974)

  • Cassegrain-Antenne mit Reflektor-Durchmesser: 15,5 m
  • Gewicht der bewegbaren Antenne: 96 t auf Rollenlager in der Azimut-Ebene
  • Nachführtechnik: Mono-Puls und manuell
  • Empfangsfrequenzbereich: 4 GHz
  • Sendefrequenzbereich: 6 GHz
  • Übertragungsbandbreite: 500 MHz
  • Antennengewinn: Empfang 54,0 dB; Senden 58,0 dB
  • Strahlenbündelung (Halbwertsbreite): Empfang 0,3°; Senden 0,18°
  • Rauscharme Empfangsverstärker: mit parametrischem Vorverstärker
  • Antenne gemäß INTELSAT-Standard B mit G/T > 31,7 dB/K
  • Wassergekühlte Sendeverstärker: 3 kW mittels Wanderfeldröhren
  • Zugang zum Satelliten im Frequenz- als auch fallweise im Zeit-Vielfach

Nach Ende des SYMPHONIE-Projekts ca. 1982 wurden neue Anwendungen für die Antenne realisiert.

Ab 1991:

Nach entsprechenden Umbauten und Ergänzungen wurde sie 1991 für die INMARSAT-Dienste der Deutschen Telekom AG, d. h. für satellitengestützte maritime und terrestrische Logistikdienste für Schiffs-, Verkehrs- und Sonderdienste über geostationäre INMARSAT-Satelliten, in Betrieb genommen und in den Folgejahren mit weiteren kleineren Antennen ergänzt.

Ab 2006:

Seit dem Eigentümerwechsel der Erdfunkstelle Raisting von der Deutschen Telekom zu einem privaten Betreiber diente diese Antenne mit ihrem Antennenpark der Firma TALIA für ihre weltweiten satellitengestützten Mobilfunkdienste. Derzeit ist die Antenne 6 außer Betrieb.

Quellen und weitere Literatur:

  • Anatomie einer Erdefunkstelle, Robert Uhlitzsch, Suhrkamp Verlag, suhrkamp wissen, Mai 1969
  • Der programmierte Himmel, Deutsche Bundespost, 1972 und 1981
  • Tagungsband der Ergebnisse des SYMPHONIE-Projekts (1980)
  • Jubiläumsschrift: 50 Jahre Satellitenfunk über die Erdfunkstelle Raisting, Förderverein Industriedenkmal Radom Raisting e. V., 2015