Der Raistinger Bovist

Zum Zeitpunkt des Baus der Erdfunkstelle Raisting war es noch nicht möglich, die Antennenanlagen unter freiem Himmel aufzustellen. Windlasten, Niederschlag und Ver­eisung wären bei einer frei­stehenden Antenne nicht beherrsch­bar gewesen. Die damaligen Antennen zur Satelliten­kommu­nikation mussten daher in riesigen Gebäuden aufgestellt werden – natürlich ohne die Funk­kommunikation mit den Satelliten nennenswert zu beinträchtigen.

Auch in Raisting wurde die Antenne daher von einer Traglufthülle mit einem Durchmesser von 49 Metern umgeben. Das Radommaterial, eine nur knapp 2 Millimeter dicke Folie, wurde so gewählt, dass das Radom für die Funkwellen zur Satellitenkommunikation transparent erscheint. Die Hülle wird dabei nur vom inneren Luftdruck (ähnlich einem Luftballon) aufrecht und in Form gehalten; es gibt keine Streben oder Stützen. Damit der Druck nicht abfällt, betritt man das Radom durch eine Luftschleuse. Im Radom Raisting gibt es vier solche Luftschleusen: Zwei zum regulären Betreten des Radom, eine große Fahrzeugschleuse und eine kleine Schleuse als zusätzlichen Notausgang.

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Oktober 1963: Vorsichtig wird die Radom­hülle über den Beton­sockel gezogen...
  ... und erstmals auf­ge­blasen.   Nur drei Stunden später ist die Hülle entfaltet.

In nur drei Stunden wurde die Radomhülle im Oktober 1963 aufgeblasen. Schon bald erhielt das Gebäude den Spitznamen "Raistinger Bovist" (nach dem kugelförmigen Fruchtkörper einiger Pilzsorten). Knapp 47 Jahre blieb die Hülle ohne Unterbrechung unter Druck. Dafür sorgten zwei unabhängige Stromzuführungen und zusätzliche Kraftwerkskapazität im Zentralgebäude der Anlage, die bei Netzausfällen damals (wie auch heute noch) einspringen konnte.

Im September 2010 wurde die alte Radomhülle entfernt und durch eine neue Hülle ersetzt. Das wurde notwendig, nachdem die alte Hülle keine ausreichende Standsicherheit mehr gewährleistete. Gleichzeitig wurde auch der Energiehaushalt des Radom verbessert. Früher musste das Radom im Winter konstant auf 26 Grad geheizt werden, um Schneelasten, die das Radom zusammendrücken würden, abschmelzen zu lassen. Heute sorgt dafür ein deutlich energiesparenderes Klimatisierungskonzept – beispielsweise wird die Verformung der Hülle ständig gemessen und eine gewisse Schneelast schlicht toleriert. So ist heute das Industriedenkmal Radom Raisting das letzte samt Antenne noch funktionsfähige Radom dieser frühen Phase der Satellitenkommunikation. Das Radom in Andover, USA, mit dem das Radom Raisting in den ersten Jahren im Satellitenkontakt stand, existiert heute nicht mehr (siehe Bilder unten).

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Die Antenne im Radom Raisting stand auch mit diesem Radom in Andover, Maine USA, in Kontakt.
  Das Radom in Andover existiert heute nicht mehr. (Bild aufgenommen im Oktober 2007.)
  Dem Radom Rasiting blieb dieses Schicksal erspart: Im Jahre 2010 wird eine neue Hülle installiert.

 

Bildnachweis:
Radom Andover: © Massachusetts Institute of Technology, Courtesy of MIT Libraries, Rotch Visual
Collections; Photograph by G.E. Kidder Smith. Used with kind permission.
Abgerissenes Radom Andover: www.newenglandphotography.net (externer Link), used under commercial license.
Hüllentausch: Student Satellite Initiative Munich e.V., Creative Commons Attribution license.